Fachartikel VOICE 2025: KI-basierte Dokumentationsprozesse im Gesundheitswesen richtig und erfolgreich planen

KI-basierte Dokumentationsprozesse im Gesundheitswesen richtig und erfolgreich planen

Künstliche Intelligenz (KI) ist aus dem Gesundheitswesen nicht mehr wegzudenken, insbesondere im Bereich der Dokumentation. Doch KI kann nur zum gewünschten Erfolg führen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Einführung gut vorbereitet wird.

Peter Fettke ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes sowie Forschungsgruppenleiter am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken. In unserem Interview stellt er sich zusammen mit DFC-Geschäftsführer Dennis Feiler unseren Fragen rund um die erfolgreiche Implementierung von KI im Gesundheitswesen.

VOICE: Herr Prof. Fettke, der Ruf nach einem vermehrten Einsatz von KI im Gesundheitswesen wird immer lauter, zugleich lässt sich bei den Anwendern erste Ernüchterung über die bisherigen Resultate aus KI-Projekten vernehmen. Ist KI noch nicht so weit oder sind die Herausforderungen im Gesundheitswesen zu komplex?

Prof. Peter Fettke: Das Gesundheitswesen hat an dieser Stelle sicherlich eine ganze Reihe von Herausforderungen zu meistern. Der Umgang mit Patientendaten ist hochsensibel. Die Komplexität des Gesundheitswesens mit seinem ambulanten und stationären Bereich sowie den vielen unterschiedlichen Fachdisziplinen kommt erschwerend hinzu. Bevor man über den Einsatz von KI spricht, müssen daher zunächst einmal organisatorische Fragen beantwortet werden, zum Beispiel, wo die Patientendaten eigentlich liegen und verarbeitet werden und wer alles Zugriff darauf hat. Das hat erst einmal gar nichts mit KI zu tun. Die Erwartung ist immer groß, dass die Technik alle Probleme löst, aber vielmehr ist es wichtig, genau zu prüfen, welche Lösung man eigentlich haben möchte und wie die genauen Abläufe sind. Hierzu bedarf es zunächst grundlegender Arbeit, um zu verstehen, wie die Prozesse überhaupt ablaufen.


VOICE: Was ist bei der Einführung von KI zu beachten, und welche Elemente sollte eine solide Planung zur erfolgreichen Einführung von KI beinhalten?

Prof. Peter Fettke: Eines vorweg: Wenn man einen schlechten analogen Prozess digitalisiert, dann erhält man einen schlechten digitalen Prozess. Deshalb steht die Digitalisierung der Daten an erster Stelle, jedoch sollte man sich im Vorfeld Gedanken darüber machen, warum man eine bestimmte Lösung überhaupt haben möchte – also was der Zweck der Digitalisierung und des Einsatzes von KI ist. So bringt man auch die Erwartungen auf ein realistisches Niveau. Im nächsten Schritt sollte dann geklärt werden, welche Systeme durch KI unterstützt werden sollen. Wichtig ist ein Blick auf die Schnittstellen zwischen diesen Systemen und natürlich die Fragestellung, welche Abläufe zukünftig tatsächlich angedacht sind.


VOICE: Welche Kompetenzen sind auf Kundenseite für eine erfolgreiche Einführung von KI-Lösungen erforderlich? Müssen Gesundheitsdienstleister zusätzliche KI-Experten einstellen?

Prof. Peter Fettke: Das ist eine spannende Frage, denn was versteht man denn eigentlich unter Experten auf diesem Gebiet? An den Universitäten gibt es auf der einen Seite Informatiker, die sich auf KI spezialisiert haben. Eine Teilgruppe hat beispielsweise den Fokus auf den Bereich der Bild- oder Datenverarbeitung oder das Prozessmanagement gelegt. Auf der anderen Seite gibt es Mediziner – beide Gruppen müssten eigentlich zusammenarbeiten. Für das Thema Datenschutz spielen zudem Juristen eine große Rolle. Es gibt also nicht den einen Experten, sondern man muss sehen, welche Person oder welchen Bereich man gerade für sein Projekt benötigt.

Dennis Feiler: Es werden Mitarbeiter in den Einrichtungen benötigt, die mit den klinischen Prozessen vertraut sind und die Motivation haben, Schwachstellen zu benennen und neue Ansätze zu formulieren. Diese Personen sind in vielen Einrichtungen vorhanden. Entscheidend ist auch, dass den Verantwortlichen dort bewusst ist, dass eine vorhandene Digitalisierungsstrategie die Grundlage für eine erfolgreiche Einführung von KI-basierten Anwendungen ist, und diese liegt in der Verantwortung der Geschäftsführung. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die an der Digitalisierungsstrategie mitwirkenden Mitarbeiter hierfür auch die erforderlichen zeitlichen Ressourcen zur Verfügung haben.


VOICE: Wie lässt sich der Erfolg von KI-Projekten messen? Gibt es hierzu schon Erfahrungen oder Ansätze, eventuell auch aus anderen Bereichen?

Prof. Peter Fettke: Die Messung des Erfolgs von KI-Projekten unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der von Projekten im Allgemeinen: Zeit, Kosten und Qualität sind zunächst Faktoren, die man für eine Erfolgsmessung heranziehen kann. Doch welche Kosten entstehen, wenn aufgrund einer falschen KI-Entscheidung zusätzliche Behandlungen durchgeführt werden, die gar nicht erforderlich gewesen wären? Wie viel Geld lässt sich einsparen, wenn ein Arzt durch eine KI-Lösung entlastet wird? Das sind Fragen, auf die es noch nicht ausreichend Antworten gibt.


VOICE: Was empfehlen Sie für einen dauerhaft erfolgreichen Einsatz von KI-Lösungen, auch im Zuge der kontinuierlichen technologischen Weiterentwicklung und der zukünftigen Herausforderungen im Gesundheitswesen?

Prof. Peter Fettke: Herr Feiler hat bereits die Wichtigkeit der Digitalisierungsstrategie angesprochen, aus der sich die KI-Strategie ableiten muss. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Zudem sollte man eine vernünftige zeitliche Planung aufstellen und definieren, welche Projekte kurz-, mittel- und langfristig angegangen werden sollen. Wichtig ist auch die Frage der Positionierung: Möchte ich alles alleine umsetzen und die Möglichkeiten nutzen, die der Markt bietet, oder warte ich, bis mir ein IT-Dienstleister eine Lösung anbietet? Es ist immer empfehlenswert, Veränderungen aktiv mitzugestalten, um den Überblick zu behalten und keinen Trend zu verpassen.

Dennis Feiler: Die Krankenhäuser sind jedoch bei der Umsetzung von Digitalisierungsstrategien auch zukünftig auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Die vergangene KHZG-Förderung darf keine einmalige Maßnahme gewesen sein – Digitalisierung ist eine dauerhafte Maßnahme.


VOICE: Welche Herausforderungen sehen Sie durch den 2024 verabschiedeten EU AI Act (KI-Verordnung) für die Betreiber und Anbieter von KI-Lösungen?

Dennis Feiler: Der Einsatz von KI im Gesundheitswesen erfordert gesetzliche und ethische Regelungen. Obwohl in der aktuellen Fassung des AI Act noch Konkretisierungen erforderlich sind, deutet Vieles darauf hin, dass eine strenge Regulierung von KI-Systemen in der EU bevorsteht. Dies wird tiefgreifende Auswirkungen auf Anbieter und Nutzer von KI-Technologien haben. Auch wenn viele Hersteller im Gesundheitswesen bereits mit den regulatorischen Anforderungen hinsichtlich des Inverkehrbringens von Medizinprodukten vertraut sind, haben gerade kleinere KMUs und Start-ups Bedenken, dass noch weiterer regulatorischer Aufwand und Kosten auf sie zukommen. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber hier mit Sachverstand handelt und Innovationen aufgrund von „deutscher“ Überregulierung dabei nicht auf der Strecke bleiben. Das würde nicht nur die deutsche bzw. europäische KI-Industrie noch weiter abhängen, sondern auch die dringend erforderliche digitale Modernisierung des Gesundheitswesens weiter verzögern.


VOICE: Am 26. März 2024 ist das Digitalgesetz (DigiG) § 393 SGB V in Kraft getreten. Damit sind Cloud-Anbieter, die Sozial- und Gesundheitsdaten verarbeiten, ab Juli 2025 verpflichtet, ein C5-Testat vorzuweisen. Birgt die Regulierung die Gefahr, dass wir die Potenziale von KI eventuell nicht oder nur zögerlich angehen?

Dennis Feiler: Ich sehe keine Gefahr, dass die Digitalisierung hierdurch gebremst wird, sondern erkenne vielmehr eine Rechtssicherheit, die sowohl unsere Kunden als Cloud-Lösungs-Nutzer als auch wir als Cloud-Lösungs-Anbieter erhalten. Wie viele Cloud-Lösungs-Anbieter ist auch unser Unternehmen bereits nach ISO 27001 zertifiziert und befindet sich aktuell in der Umsetzung der C5-Testierung. C5 ist ein Kriterienkatalog, der die Anforderungen an sicheres Cloud-Computing beschreibt; mit vielen Inhalten sollten die Anbieter von Cloud-Lösungen im Gesundheitswesen vertraut sein.

Prof. Peter Fettke: Ich nehme in vielen Gesprächen zur Nutzung von KI-Lösungen durchaus eine Tendenz wahr, dass Deutschland den Ruf hat, Regulierungsmeister zu sein. Das ist zunächst einmal keine gute Wahrnehmung, wenn es um Innovationen geht. Auf der anderen Seite glaube ich aber auch, dass man Regulatorik und Technik zusammenbringen muss, um Produkte zu schaffen, die es in anderen Märkten nicht gibt. Dann ist man nicht nur ein bisschen besser, sondern man hat Lösungen gefunden, die weltweit einen Spitzenplatz einnehmen.


VOICE: Vielen Dank für das Gespräch.

Interviewpartner:

Peter Fettke, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes sowie Forschungsgruppenleiter am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken

Dennis Feiler, Geschäftsführer, DFC-SYSTEMS GmbH

Über das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI):

Das DFKI zählt zu den wichtigsten „Centers of Excellence“ weltweit und forscht bereits seit 35 Jahren an künstlicher Intelligenz für den Menschen. Aktuell arbeiten rund 1.560 Mitarbeiter aus über 76 Nationen an innovativen Software-Lösungen, Produktfunktionen, Prototypen und patentfähigen Industrielösungen.